Geschichte des Sufismus (2)

Teil II (1200 - 2006 n.Chr.)/ (600 - 1427 A.H.)

Sinnbildliche Darstellungen waren schon immer eine bevorzugte Ausdrucksart der Sufis. Nezami (1141-1209) trug dazu bei, indem er die Geschichte der Haft Peykar, oder der Sieben Prinzessinnen, sowie die berühmte Liebesgeschichte von Leyli und Majnun schrieb, die ebenfalls eine tiefgründige Allegorie darstellt. Volkstümliche Versionen von Leyli und Majnun werden von Nordafrika bis nach Indien erzählt.1

Die im Westen berühmteste Allegorie, neben Der Geschichte von Tausend und einer Nacht mit der Geschichte von Aladdin, sind die Vogelgespräche2   von Fariduddin Attar (1220). Die Geschichte erzählt von der Sehnsucht einer Gruppe von Vögeln, die unbedingt den großen Simorgh, den geliebten König, finden möchten. Angeführt von einem Wiedehopf, beginnen sie voller Leidenschaft und Enthusiasmus ihre Reise zum Land des Simorgh. Einer nach dem anderen geben sie die Reise jedoch auf, ein jeder mit einer anderen Ausrede, unfähig die Reise durchzustehen. Schließlich bleiben 30 Vögel (oder si morgh im Persischen) übrig, die letztlich die sieben Täler durchqueren und im Land des Simorgh ankommen. Sie ersuchen um Erlaubnis, den Simorgh sehen zu dürfen, doch ihr Gesuch wird abgewiesen. Die 30 Vögel lösen sich in Liebe und Verzückung auf und verlassen durch den Tod ihr physisches Dasein, um das Reich ihrer Seele zu betreten. Zu ihrem Erstaunen stellen sie dort fest, dass der große Simorgh, den sie all die Zeit gesucht hatten, in Wahrheit ihre eigene, wahre Identität ist. Mit anderen Worte, der Simorgh oder die Wahrheit, sind die si morgh selbst, oder die Realität eines jeden der 30 Vögel. Sie erkennen, dass dieser Weg eine Reise der Selbsterkenntnis gewesen war, damit sie ihre eigene Wahrheit entdecken mögen.

In dieser Geschichte wird der Wiedehopf, der die Vögel führte, als ein Sinnbild für einen Sufi Meister benutzt, der seine Schüler zur Erleuchtung führt. Die Vögel müssen sieben Täler durchqueren, um den Simorgh zu finden. Diese sieben Täler repräsentieren die Stufen, die ein Wahrheitssuchender hinter sich bringen muss, um Gott zu erkennen, indem er sich selbst erkennt.

Der im Westen wohl berühmteste Sufi-Dichter ist Jalaleddin Rumi (1207-1273 AD), der auch als Molawi bekannt ist. Er war ein gewöhnlicher Religionslehrer, erfuhr seine Wandlung jedoch im Alter von 37 Jahren durch die unerwartete Erscheinung eines Wanderderwischs namens Shams Tabrizi. In Shams fand er einen Spiegel des göttlichen Geliebten. Rumi ist durch zwei verschiedene Orden mit der Oveyssi-Schule verbunden: auf der einen Seite durch seinen Vater Baha al-Din Valad, der ein Schüler des berühmten Sufi Meisters Najmeddin Kobra gewesen war, und zum anderen durch seinen geliebten Meister Shams Tabrizi, der selbst ein Schüler von Baba-Kamal Jondi gewesen war, dieser wiederum ein Schüler von Sheikh Najemddin Kobra Oveyssi. Molawis Masnawi umfasst allein sechs Bände, und verdeutlicht die Liebe seines Geliebten. „Wer in die Hände der Liebe fällt, wird weinen wie eine Wolke – Wer sich entfernt von ihr wird erfrieren wie Schnee". 3

Semnani (1264-1335ad) verließ seinen Hof, um sein Leben und seinen Reichtum allein Gott zu widmen. Dabei verfasste er viele Werke in Poesie und Prosa: "Als ich die Blume der Liebe pflückte, verletzte ich das Auge des Verstandes mit hunderten von Dornen." 4  Amir Seyyed Ali Hamedani (1313-1384 AD), wegen seines hohen Ranges als "zweiter Ali" bekannt, zog mit 700 Gefolgsleuten nach Kaschmir, um dort ein Khaneghah aufzubauen.

Shamse-din Hafez Shirazi (1389), ein weiterer berühmter Sufi-Dichter Persiens, war ebenfalls ein Mitglied der Oveyssi Schule des Sufismus. Er war ein Schüler von Sheikh Mahmoud Attar Shirazi, der wiederum ein Schüler von Pir Golrang war. Hafez hat viele Philosophen und Dichter auf der ganzen Welt inspiriert und wurde vielfach bewundert, besonders von Goethe.

Vom 15. Jahrhundert bis heute an, entwickelten sich viel große Sufis, wie z.B. Seyyed Mohammad Nourbakhsh (1464 AD), Schah Ghassem Feizbakhsh (1520 AD), Darvish Mohammad Mozaheb Karandehi (1627 AD), Seyyed Abdolvahab Naini (1798 AD), Haj Mohammad Hasan Kouzehkannani (1834AD) und Hazrat Agha Abdolghader Jahromi (1884 AD).

*Hazrat Jalaleddin Mir Abolfazl Angha (1849-1915), der 39. Meister der Oveyssi Schule, begann die Übersetzung des tiefgründigen Wissens des Sufismus in wissenschaftliche Konzepte. Durch harte Arbeit, Ergebenheit und Disziplin erreichte er den absoluten Zustand der Erkenntnis.

Sein Sohn, Hazrat Mir Ghotbeddin Mohammad Angha (1887-1962), setzte diese Tradition fort. Er stellte fest, wie genau Rumi die Teilchen beschreiben konnte, als ob er die Eigenschaften der Atome hatte selbst beobachten können.

* Sein Nachfolger und Sohn, Hazrat Shah Maghsoud Sadegh Angha (1916-1980) ging höheren Studien der Rechtswissenschaften, Philosophie, Literatur, Mathematik, Physik, Chemie, Nuklearphysik, Biochemie und Astrophysik nach. Daneben widmete er sich der iranischen Alchemie, die sich gänzlich von der westlichen Form unterscheidet. Aufgrund seines immensen Wissens auf so vielen Gebieten, und seiner vielen Schriften, durch die er den Sufismus jedem gegenwärtigen Menschen zugänglich machte, heißt die Schule heute Maktab Tarighat Oveyssi Shahmaghsoudi®. Dieser große Pir (Meister) schrieb über 150 Werke in Prosa und Poesie.

** Hazrat Salaheddin Ali Nader Angha (Der Sufi Meister der M.T.O. Shahmaghsoudi® Schule des Islamischen Sufismus), bekam am 4. September 1970 den heiligen Umhang von seinem Vater überreicht und wurde somit zum 42. Pir, Oveyssi. Nach seiner Geburt am 30. September 1945, wurde er von seinem Vater und Großvater gelehrt und studierte Physik und Mathematik in den U.S.A. Er bildet eine Brücke zwischen dem Altertümlichen und dem Modernen, zwischen Wissenschaft und Religion, Ost und West. Sein weitreichendes Wissen zeigt sich in seinen zahlreichen Werken in Poesie und Prosa. Unter seiner Aufsicht ist die Schule heute auf eine Anzahl von über 500.000 Schülern weltweit gewachsen.


1. Nezami, The Story of the Seven Princesses (London: Bruno Cassirer, 1976)
2. Farid ud-Din Attar, The Conference of the Birds (NY: Penguin, 1984)
3. Jalaleddin Rumi, The Mathnawi of Jalaleddin Rumi (London: E.J. W. Gibb Memorial Trust,1926-1982)
4. Anmarie Schimmel, Mystical Dimensions of Islam (University of North Carolina Press, 1975)